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Reiseberichte
von Klaus Bölling und Renate Rüthlein
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Aquitanien 1999

ein Reisebericht

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Lothringen, Chartres, Loire, Côte d’Argent, Béarn, Lourdes
 

Gleich hinter der Grenze, die jetzt keine mehr ist, fahren wir auf die N 3 in Rich¬tung Metz und sind in Lothringen. Wir hatten eine düstere Industrielandschaft erwartet. Was wir sehen, ist ein weites Land unter einem blassen Spätsommerhimmel, das uns wie eine irdische Dünung aus Ockertönen mit grünen Schaumkronen drauf entgegen¬wogt. Am Fuss der Höhen, die Namen tragen wie Toter Mann oder Cote 304, ahnen wir die Gespenster pickelhaubiger Großväter.

Kurz vor Metz will man uns unbedingt auf die Autobahn nach Verdun locken. Wir wollen aber auf die Nationalstrasse. Also irren wir durch eine öde Industriezone, landen nach etlichen Wendemanövern in den engen Gassen der Metzer Altstadt, umrunden im Schritttempo, es ist zum Glück Sonntag Mittag, etliche imposante Gebäude, darunter wohl auch die Kathedrale, die die höchste Frankreichs sein soll, was uns ziemlich egal ist, denn wir wollen nur aus diesem Gassengewirr raus. Der Schweiss läuft in Strömen. Als wir zum dritten mal an der Auffahrt zur Autobahn nach Verdun stehen, resignieren wir und fahren los. Nach ein paar Kilometern das Schild VERDUN PAR RN. Jetzt fällt es uns wieder ein, um die größeren Städte herum dienen die Autobahnen als Umgehungsstraßen und sind gebührenfrei. Zufrieden rollen wir über die wiedergefundene N 3 in die grünen Hügel, die Metz umgeben, halten auf einem vergammelten Parkplatz, wo man laut Reiseführer einen herrlichen Blick auf Stadt und Kathedrale haben soll. Wir gehen ein paar Schritte zwischen Mülltüten und Scheisshau¬fen hin und her, lassen den Schweiss trocknen und einen melan¬cholischen Blick ins Tal schweifen...

In dem kleinen Ort Jarny legen wir eine Pause ein und flüchten vor der mittäglichen Hitze unter den Sonnenschirm eines leeren Straßencafés. Die Preise haben sich im Vergleich zum Vorjahr nicht verändert: ein kleines Bier und einen Café-Crème gibt es immer noch für 25 FF. Je mehr wir uns Verdun nähern, desto mehr schmucke Soldatenfriedhöfe sehen wir auf beiden Seiten der Straße. Tadellos gepflegte Alleen aus weißen oder schwarzen Holzkreuzen. Eintönig demokra¬tisch. Jeder hat die gleiche Menge Erde im Mund.

Hinter Verdun geraten wir in eine Kolonne rollender Wohnklos. Bis Ste.Menehould ist an Überholen nicht zu denken. Schließlich biegen wir auf die N 77 ab und fahren über Châlons-en-Champagne unserem heutigen Ziel entgegen: Arcis-sur-Aube. Hier ist ein Campingplatz, Camping de L'Ile, in unserer Karte verzeichnet, den wir problemlos finden. Der Betreiber nuschelt stolz etwas in seinen grauen Zauselbart, was bei gutem Willen als gebrochenes Deutsch durchgehen kann. Wir zahlen 52 Francs für die Über¬nachtung und 20 Francs (!!) für zwei Duschmarken. In 17 Minuten bauen wir das Iglu auf, während es bereits anfängt zu grummeln; die Luft ist schweißtreibend, und nach dem ersten Glas Entspannungswein bricht das Gewitter mit heftigem Regen los. Wir sind zu hungrig, um das Ende des Regens abzu¬warten, setzen uns ins Auto und verzehren unser Abendessen. Ein Verdauungsspazier¬gang führt uns rund um den Campingplatz, der tatsächlich auf einer kleinen Insel liegt. Wir entdecken ein Wehr und die erste der vielen Brücken, die uns noch entzücken werden.

Am nächsten Morgen machen wir uns auf den Weg in Richtung Chartres. Niesel¬regen, der sich zu Sturzbächen steigert, begleitet uns. Die Champagne ist grau und klein. Gestern war sie weit und voller Licht gewesen. Im Wald von Fontainebleau nimmt der Verkehr beängstigende Formen an. Da wir den Abzweig nach Chartres verpasst haben, wird der Sog der Bannmeile von Paris spürbar. Ein paar Kilometer weiter und wir würden auf dem Pariser Autobahnring landen. Das wollen wir uns nicht antun. Also fahren wir in eine kleine hupplige Seitenstraße und wenden. Nachdem wir den Abzweig nach Chartres gefunden haben, wird es ruhiger auf der Straße. Unter hohen alten Bäumen machen wir Rast in einem Ausflugslokal, wo der Wirt gerade die Tische fürs Mittagessen eindeckt. Wir bekommen trotzdem einen Café und ein freundliches Lächeln.

Ein paar Kilometer vor Chartres wächst der spitze Turm der Kathedrale aus der leicht gewellten Ebene. Nicht zu vergleichen mit dem Frankfurter Messeturm, doch immer¬hin. Wir finden einen Parkplatz am Ufer der Eure, einem sanften, in allen Grüntönen funkelnden Flüßchen. Über die Treppen einer verwinkelten Gasse steigen wir zur Kathe¬drale empor. Es ist wenig Betrieb heute. Nur ein paar franzö¬sische Schul¬klassen kommen uns entgegen. Die Sonne ist durchgebrochen. Es ist heiß. Die Kathedrale steht da. Wir umrunden sie einmal. Äußerlich macht das Bauwerk einen eher schlichten Eindruck. Erst im Inneren materialisiert sich die Arbeit der Hände und Gehirne von Genera¬tionen von Baumeis¬tern, Glasmalern, Steinmetzen zu einer Ahnung davon, was Göttlich sein könnte. Da bringen die krummen Rücken der Namenlosen, die die Steine herbei¬schleppten, die Hände, die den Mörtel anrührten, die Augen der Frauen, die den Mörtelschleppern das karge Fressen kochten, und für die sie nachts die Beine breit mach¬ten, die Steine zum Leuchten. Was an diesem Ort überwältigt, ist nicht die Anwe¬sen¬heit Gottes, sondern das Zeugnis der Arbeit vieler Generationen von Menschen, und das in höchster Vollendung. Chartres ist kein Gotteshaus, sondern ein von Menschen geschaffener Raum, durch den ein Hauch Unendlichkeit weht. Nebenbei: die Geschichten, die die Glas¬fenstern erzählen, einstmals zur Belehrung wenn nicht Einschüch¬terung der meist analphabetischen Gläubigen gedacht, spielen sich in solcher Höhe ab, dass sie mit bloßem Auge kaum zu er¬kennen sind. Zu sehen ist nur das von Menschen geschaffene, jubilierende Leuchten des Bleu de Chartres.

Im Hauptschiff sitzen eine Menge Leute, denen ein in Zivil gekleideter Animateur etwas in einer uns unbekannten Sprache erzählt. Erst denken wir, es findet ein Gottesdienst in einem altfranzösischen Dia¬lekt statt, doch die dezenten Aufpasser mit Plastikkärtchen am Revers und Walkie-Talkie in der Hosentasche hindern uns nicht am Umhergehen, was sie während eines Gottesdienstes getan hätten. Als wir Postkarten kaufen, erfahren wir, daß es Mit¬glieder eines holländischen Chores sind, die heute einen Betriebsausflug machen und, indem sie der Kathedrale ein Ständ¬chen bringen, uns eine Ahnung von der wunderbaren Akustik dieses Raumes ver¬mitteln. Noch ehe der holländische Chor die Ausgänge verstopfen kann, schlüpfen wir hinaus ins Sonnenlicht und in die nächste Kneipe. Mit gött¬lichen Preisen und ungehindertem Blick auf ein sicher berühmtes steinernes Portal.

Am frühen Nachmittag bauen wir unser Iglu auf einer Wiese des Camping Fontaine de Rabelais in St. Ay am Ufer der Loire auf. Eine der zahlreich vorhandenen Aldi-Konser¬ven rettet uns vorm Hungertod. Rotwein trin¬kend sitzen wir und schauen aufs träge dahinfließende Wasser. Das andere Ufer ist kaum zu erkennen. Der Fluß scheint sehr flach, wahrscheinlich kann man bis zum anderen Ufer durchwarten. Kein Schiffsdiesel stört die Idylle. Das von Rheinmain¬neckar verdorbene Auge erwartet, wenn von einem Fluß oder Strom die Rede ist, eine Wasser¬straße, auf der etwas Verwertbares passiert, auf der Schiffe Waren oder Menschen transportieren. Und dann die Loire, die ganz unprätentiös einfach da ist, das Land durchfließt, um ins Meer zu münden. Doch ganz unge¬schoren kommt auch sie nicht davon; wenn sie sich schon weigert, Waren auf ihren Wassern transportieren zu lassen, so müssen diese doch die Reaktoren etlicher AKWs kühlen...

Morgens ein Sonnenaufgang über dem Fluß. Es ist empfindlich kalt, wird aber nach Auflösung des Morgen¬nebels fast sommerlich heiß. Von St. Ay aus wollen wir an der Loire entlang fahren und uns wenigstens eines der Schlösser aus der Nähe ansehen. Die Durchgangsstraßen liegen weit ab vom Fluß. Die Nebenstrecke führt durch ein paar verschlafene Dörfer,die sich so hinter ihre alten Mauern zurückgezogen haben, daß man sie für unbewohnt halten könnte. Nur die Tatsache, daß uns ab und zu ein anderes Auto begegnet, zerstreut unsere anfänglichen Befürchtungen, unser alter Opel könnte das erste Auto sein, das man hier zu Gesicht be¬kommt. Hinter endlosen Steinmauern, die ein Gewoge alter Baum¬wipfel einfassen, hinter schmiedeeisernen Toreinfahrten ahnt man herrschaftliches Gemäuer, dem nicht daran gelegen ist, von Touristenmassen begafft zu werden.

Auf einer gar nicht schönen Stahlbrücke überqueren wir die Loire und gelangen bald in ein parkähnliches Waldgebiet, das zum Schloßpark von Chambord gehört. Auf einem der beiden mehrere Fußballfelder großen Park¬plätze stehen heute nicht mehr als 20 Autos. CHAMBORD: das Loire-Schloß an sich. Der erste Eindruck: Papp¬machékulisse für einen Hollywood-Schinken. Doch die Steine sind echt. Irgend ein franzö¬sischer Ludwig oder Franz ließ es sich bauen, um dort einmal im Jahr eine zünftige Fete zu feiern. Eine Marmortreppe soll es geben, wo die, die hochgingen, denen, die runterkamen, nicht begegnen mußten. Pikant. Und bei 400 Zimmern vielleicht auch nicht unangebracht. Seit der Revo¬lution sind die Zimmer übrigens nicht mehr möbliert! Besagter Ludwig oder Franz schenkte das Anwesen dann einem Mar¬schall von Sachsen, einem Au¬gust natürlich, nachdem dieser eine Schlacht für ihn gewonnen hatte. Die Nach¬kommen der edlen Rösser aus dem Marstall dieses August sind heute noch in einem Teil des Schlosses hochherrschaftlich unter¬ge¬bracht. Aus einem der hohen bleiverglasten Fenster, wert, daß eine Mätresse des Förschten herausgeschaut hätte, wiehert uns ein edles Roß entgegen. Wir sind entzückt über diese edlen Pferde, die wir überall auf den Wiesen und Wegen, die das Schloß umgeben, antreffen. Mit bunten Bändern geschmückt tänzeln sie einen nervösen Trab oder kommen in gelöstem Galopp fotogerecht auf uns zugeprescht. Die hübschen jungen Damen und Herren im Sattel lächeln unentwegt in die Kameras und versuchen uns zum Reitplatz zu locken, wo in einer halben Stunde eine Vor¬führung der hohen spanischen Schule stattfindet.

Auf dem Rückweg fahren wir über Blois. Wandern durch die steilen Gässchen der mittelalterlichen Altstadt, die mit ockerfarbenen, gefährlich glatten Katzenkopfsteinen gepflastert sind. Die Kathedrale ist scheußlich. Schön sind die Portale und Innenhöfe der kleinen Palais, wo die mittleren Verwaltungsbeamten der Herrscher wohnten, deren Schloß auf einem Hügel am anderen Ende der Stadt thront und wo sich laut Reise¬führer ungemein Historisches abgespielt hat. Unter ande¬rem hauste dort Franz der Erste mit seiner Katharina von Medici. Wir sparen uns einen Besuch. Verweilen erschöpft auf der Ter¬rasse eines Bistros und kämpfen uns schließlich zurück auf die Natio¬nalstraße Richtung Orléans, die durch das „Loire-Tal" führt, das hier eher eine breite Ebene ist, wo sich Industriezonen und Gewerbegebiete, Supermärkte, Tank¬stellen und Gebrauchtwagenhändler bis zum Horizont zu einem malerischen En¬semble vereinen, dessen Idylle nur auf der Höhe von Chambord bei St. Laurent-les-Eaux durch die zauberhaften Kühltürme eines AKWs ein wenig gestört wird. Von der Loire keine Spur. Die sehen wir erst wieder in Beaugency, das sehr schön am Fluß gelegen ist und in dessen mittäglich verschlafenen, mittel¬alterlichen Gässchen kleine Gruppen tödlich gelangweilter Schulkids herumlungern. In einem baufälligen Häus¬chen in einer Seitengasse sind zu einer Tageszeit, da ganz Frankreich zu Tisch sitzt ein paar Bauarbeiter kräftig am Hämmern. Auf der Terrasse der Brasserie Le Coq d’or sitzen Madame und Monsieur Dupont und speisen. Wir trinken Mineralwasser und Bier und warten darauf, dass um 15 Uhr der Intermarché öffnet. Supermarkt statt Kathedrale heute. Wir schleppen Steaks und massenhaft Käse zum Iglu. Die Steaks sind zäh, der Käse erfüllt alle Erwartungen!

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© Klaus Bölling, Frankfurt 2003
 
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