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Wahrheit & Politik
Auszüge aus der Rede von Harold Pinter
anläßlich der Nobelpreisverleihung am 7. Dezember 2005 (1)
   Die Vereinigten Staaten denunzierten diese Leistungen als marxistisch-leninistische Unterwanderung. Aus Sicht der US-Regierung war dies ein gefährliches Beispiel. Erlaubte man Nicaragua, elementare Normen sozialer und ökonomischer Gerechtigkeit zu etablieren, erlaubte man dem Land, den Standard der Gesundheitsfürsorge und des Bildungswesens anzuheben und soziale Einheit und nationale Selbstachtung zu erreichen, würden benachbarte Länder dieselben Fragen stellen und dieselben Dinge tun. Damals regte sich natürlich heftiger Widerstand gegen den in El Salvador herrschenden Status quo.

    Ich erwähnte vorhin das ,,Lügengespinst", das uns umgibt. Präsident Reagan beschrieb Nicaragua meist als ,,totalitären Kerker". Die Medien generell und ganz bestimmt die britische Regierung werteten dies als zutreffenden und begründeten Kommentar. Aber tatsachlich gab es keine Berichte über Todesschwadronen unter der sandinistischen Regierung. Es gab keine Berichte über Folterungen. Es gab keine Berichte über systematische oder offiziell autorisierte militärische Brutalität. In Nicaragua wurde nie ein Priester ermordet. Es waren vielmehr drei Priester an der Regierung beteiligt, zwei Jesuiten und ein Missionar des Maryknoll-Ordens. Die totalitären Kerker befanden sich eigentlich nebenan in El Salvador und Guatemala. Die Vereinigten Staaten hatten 1954 die demokratisch gewählte Regierung von Guatemala gestürzt, und Schatzungen zufolge sollen den anschließenden Militärdiktaturen mehr als 200.000 Menschen zum Opfer gefallen sein.

    Sechs der weltweit namhaftesten Jesuiten wurden 1989 in der Central American University in San Salvador von einem Bataillon des in Fort Benning, Georgia, USA, ausgebildeten Alcatl-Regiments getötet. Der außergewöhnlich mutige Erzbischof Romero wurde ermordet, als er die Messe las. Schatzungsweise kamen 75.000 Menschen urns Leben. Weshalb wurden sie getötet? Sie wurden getötet, weil sie ein besseres Leben nicht nur für möglich hielten sondern auch verwirklichen wollten. Dieser Glaube stempelte sie sofort zu Kommunisten. Sie starben, weil sie es wagten, den Status quo infrage zu stellen, das endlose Plateau von Armut, Krankheit, Erniedrigung und Unterdrückung, das ihr Geburtsrecht gewesen war.

    Die Vereinigten Staaten stürzten schließlich die sandinistische Regierung. Es kostete einige Jahre und beträchtliche Widerstandskraft, doch gnadenlose ökonomische Schikanen und 30.000 Tote untergruben am Ende den Elan des nicaraguanischen Volkes. Es war erschöpft und erneut verarmt. Die Casinos kehrten ins Land zurück. Mit dem kostenlosen Gesundheitsdienst und dem freien Schulwesen war es vorbei. Das Big Business kam mit aller Macht zurück. Die 'Demokratie' hatte sich behauptet.

    Doch diese ,,Politik" blieb keineswegs auf Mittelamerika beschrankt. Sie wurde in aller Welt betrieben. Sie war endlos. Und es ist, als hatte es sie nie gegeben.

    Nach dem Ende des 2. Weltkriegs unterstützten die Vereinigten Staaten jede rechtsgerichtete Militärdiktatur auf der Welt, und in vielen Fallen brachten sie sie erst hervor. Ich verweise auf Indonesien, Griechenland, Uruguay, Brasilien, Paraguay, Haiti, die Türkei, die Philippinen, Guatemala, El Salvador und natürlich Chile. Die Schrecken, die Amerika Chile 1973 zufügte, können nie gesühnt und nie verziehen werden.

    In diesen Ländern hat es Hunderttausende von Toten gegeben. Hat es sie wirklich gegeben? Und sind sie wirklich alle der US-Außenpolitik zuzuschreiben? Die Antwort lautet ja, es hat sie gegeben, und sie sind der amerikanischen Außenpolitik zuzuschreiben. Aber davon weiß man natürlich nichts.

    Es ist nie passiert. Nichts ist jemals passiert. Sogar als es passierte, passierte es nicht. Es spielte keine Rolle. Es interessierte niemand. Die Verbrechen der Vereinigten Staaten waren systematisch, konstant, infam, unbarmherzig, aber nur sehr wenige Menschen haben wirklich darüber gesprochen. Das muss man Amerika lassen. Es hat weltweit eine ziemlich kühl operierende Machtmanipulation betrieben, und sich dabei als Streiter


für das universelle Gute gebärdet. Ein glänzender, sogar geistreicher, äußerst erfolgreicher Hypnoseakt.

    Ich behaupte, die Vereinigten Staaten ziehen die größte Show der Welt ab, ganz ohne Zweifel. Brutal, gleichgültig, verächtlich und skrupellos, aber auch ausgesprochen clever. Als Handlungsreisende stehen sie ziemlich konkurrenzlos da, und ihr Verkaufsschlager heißt Eigenliebe. Ein echter Renner. Man muss nur all die amerikanischen Präsidenten im Fernsehen die Worte sagen hören: ,,das amerikanische Volk", wie zum Beispiel in dem Satz: ,,Ich sage dem amerikanischen Volk, es ist an der Zeit, zu beten und die Rechte des amerikanischen Volkes zu verteidigen, und ich bitte das amerikanische Volk, den Schritten ihres Präsidenten zu vertrauen, die er im Auftrag des amerikanischen Volkes unternehmen wird."

    Ein brillanter Trick. Mit Hilfe der Sprache halt man das Denken in Schach. Mit den Worten ,,das amerikanische Volk" wird ein wirklich luxuriöses Kissen zur Beruhigung gebildet. Denken ist überflüssig. Man muss sich nur ins Kissen fallen lassen. Möglicherweise erstickt das Kissen die eigene Intelligenz und das eigene Urteilsvermögen, aber es ist sehr bequem. Das gilt natürlich weder für die 40 Millionen Menschen, die unter der Armutsgrenze leben, noch für die 2 Millionen Männer und Frauen, die in dem riesigen Gulag von Gefängnissen eingesperrt sind, der sich über die Vereinigten Staaten erstreckt.

    Den Vereinigten Staaten liegt nichts mehr am low intensity conflict. Sie sehen keine weitere Notwendigkeit, sich Zurückhaltung aufzuerlegen oder gar auf Umwegen ans Ziel zu kommen. Sie legen ihre Karten ganz ungeniert auf den Tisch. Sie scheren sich einen Dreck um die Vereinten Nationen, das Volkerrecht oder kritischen Dissens, den sie als machtlos und irrelevant betrachten. Sie haben sogar ein kleines, blökendes Lammchen, das ihnen an einer Leine hinterher trottelt, das erbärmliche und abgeschlaffte Großbritannien.

    Was ist aus unserem sittlichen Empfinden geworden? Hatten wir je eines? Was bedeuten diese Worte? Stehen sie für einen heutzutage äußerst selten gebrauchten Begriff - Gewissen? Ein Gewissen nicht nur hinsichtlich unseres eigenen Tuns sondern auch hinsichtlich unserer gemeinsamen Verantwortung fur das Tun anderer? Ist all das tot? Nehmen wir Guantanamo Bay. Hunderte von Menschen, seit über drei Jahren ohne Anklage in Haft, ohne gesetzliche Vertretung oder ordentlichen Prozess, im Prinzip für immer inhaftiert. Diese absolut rechtswidrige Situation existiert trotz der Genfer Konvention weiter. Die so genannte ,,internationale Gemeinschaft" toleriert sie nicht nur, sondern verschwendet auch so gut wie keinen Gedanken daran. Diese kriminelle Ungeheuerlichkeit begeht ein Land, das sich selbst zum ,,Anführer der freien Welt" erklärt. Denken wir an die Menschen in Guantanamo Bay? Was berichten die Medien über sie? Sie tauchen gelegentlich auf- eine kleine Notiz auf Seite sechs. Sie wurden in ein Niemandsland geschickt, aus dem sie womöglich nie mehr zurückkehren. Gegenwärtig sind viele im Hungerstreik, werden zwangsernährt, darunter auch britische Bürger. Zwangsernährung ist kein schöner Vorgang. Weder Beruhigungsmittel noch Betäubung. Man bekommt durch die Nase einen Schlauch in den Hals gesteckt. Man spuckt Blut. Das ist Folter. Was hat der britische Außenminister dazu gesagt? Nichts. Was hat der britische Premierminister dazu gesagt? Nichts. Warum nicht? Weil die Vereinigten Staaten gesagt haben: Kritik an unserem Vorgehen in Guantanamo Bay stellt einen feindseligen Akt dar. Ihr seid entweder für uns oder gegen uns. Also halt Blair den Mund.

    Die Invasion des Irak war ein Banditenakt, ein Akt von unverhohlenem Staatsterrorismus, der die absolute Verachtung des Prinzips von internationalem Recht demonstrierte. Die Invasion war ein willkürlicher Militäreinsatz, ausgelost durch einen ganzen Berg von Lügen und die üble Manipulation der Medien und somit der Öffentlichkeit; ein Akt zur Konsolidierung der militärischen und ökonomischen Kontrolle Amerikas im mittleren Osten unter der Maske der Befreiung, letztes Mittel, nachdem alle anderen Rechtfertigungen sich nicht hatten rechtfertigen lassen. Eine beeindruckende Demonstration einer Militärmacht, die für den Tod und die Verstummelung abertausender Unschuldiger verantwortlich ist.

 

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