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dokumente gegen das vergessen
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Wahrheit & Politik
Auszüge aus der Rede von Harold Pinter
anläßlich der Nobelpreisverleihung am 7. Dezember 2005 (1) |
Ich weiß, dass Präsident Bush zahlreiche ausgesprochen fähige Redenschreiber hat, aber ich möchte mich freiwillig für den Job melden. Ich schlage folgende kurze Ansprache vor, die er im Fernsehen an die Nation halten kann. Ich sehe ihn vor mir: feierlich, penibel gekämmt, ernst, gewinnend, aufrichtig, oft verführerisch, manchmal mit einem bitteren Lächeln, merkwürdig anziehend, ein echter Mann.
,,Gott ist gut. Gott ist groß. Gott ist gut. Mein Gott ist gut. Bin Ladens Gott ist böse. Er ist ein böser Gott. Saddams Gott war böse, wenn er einen gehabt hatte. Er war ein Barbar. Wir sind keine Barbaren. Wir hacken Menschen nicht den Kopf ab. Wir glauben an die Freiheit. So wie Gott. Ich bin kein Barbar. Ich bin der demokratisch gewählte Anführer einer freiheitsliebenden Demokratie. Wir sind eine barmherzige Gesellschaft. Wir gewahren einen barmherzigen Tod auf dem elektrischen Stuhl und durch barmherzige Todesspritzen. Wir sind eine große |
Nation. Ich bin kein Diktator. Er ist einer. Ich bin kein Barbar. Er ist einer. Und er auch. Die alle da. Ich besitze moralische Autorität. Seht ihr diese Faust? Das ist meine moralische Autorität. Und vergesst das bloß nicht."
Das Leben eines Schriftstellers ist ein äußerst verletzliches, fast schutzloses Dasein. Darüber muss man keine Tränen vergießen. Der Schriftsteller trifft seine Wahl und halt daran fest. Es stimmt jedoch, dass man allen Winden ausgesetzt ist, und einige sind wirklich eisig. Man ist auf sich allein gestellt, in exponierter Lage. Man findet keine Zuflucht, keine Deckung - es sei denn, man lügt - in diesem Fall hat man sich natürlich selber in Deckung gebracht und ist, so ließe sich argumentieren, Politiker geworden.
Ich habe heute Abend etliche Male vom Tod gesprochen. Ich werde jetzt ein eigenes Gedicht zitieren. Es heißt ,,Tod".
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Wo fand man den Toten?
Wer fand den Toten?
War der Tote tot, als man ihn fand?
Wie fand man den Toten?
Wer war der Tote?
Wer war der Vater oder die Tochter oder der Bruder
Oder der Onkel oder die Schwester oder die Mutter oder der Sohn
Des toten und verlassenen Toten?
War er tot, als er verlassen wurde?
War er verlassen?
Wer hatte ihn verlassen?
War der Tote nackt oder gekleidet fur eine Reise?
Warum haben Sie den Toten für tot erklärt? Haben Sie den Toten für tot erklärt?
Wie gut haben Sie den Toten gekannt? Woher wussten sie, dass der Tote tot war?
Haben Sie den Toten gewaschen Haben Sie ihm beide Augen geschlossen Haben Sie ihn begraben Haben Sie ihn verlassen Haben Sie den Toten geküsst (3)
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Blicken wir in einen Spiegel, dann halten wir das Bild, das uns daraus entgegensieht, für akkurat. Aber bewegt man sich nur einen Millimeter, verändert sich das Bild. Wir sehen im Grunde eine endlose Reihe von Spiegelungen. Aber manchmal muss ein Schriftsteller den Spiegel zerschlagen - denn von der anderen Seite dieses Spiegels blickt uns die Wahrheit ins Auge.
Ich glaube, dass den existierenden, kolossalen Widrigkeiten zum Trotz die unerschrockene, unbeirrbare, heftige intellektuelle Entschlossenheit, als Burger die
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wirkliche Wahrheit unseres Lebens und unserer Gesellschaften zu bestimmen, eine ausschlaggebende Verpflichtung darstellt, die uns allen zufallt. Sie ist in der Tat zwingend notwendig.
Wenn sich diese Entschlossenheit nicht in unserer politischen Vision verkörpert, bleiben wir bar jeder Hoffnung, das wiederherzustellen, was wir schon fast verloren haben - die Würde des Menschen.
Übersetzung von Michael Walter |
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(1) |
source:
http://nobelprize.org/literature/laureates/2005/pinter-lecture-g.html |
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(2) |
aus Pablo Neruda: Dritter Aufenthalt auf Erden, 1937/1947.
Ubersetzt von Erich Arendt, in Der unsichtbare Fluss - ein Lesebuch
herausgegeben von Victor Farias.
Luchterhand, Hamburg, 1994. |
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(3) |
aus Harold Pinter: Krieg.
Übersetzt von Elisabeth Plessen und Peter Zadek.
Rogner und Bernhard, Hamburg, 2003. |
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