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Wahrheit & Politik
Auszüge aus der Rede von Harold Pinter
anläßlich der Nobelpreisverleihung am 7. Dezember 2005 (1)
   Wir haben dem irakischen Volk Folter, Splitterbomben, abgereichertes Uran, zahllose, willkürliche Mordtaten, Elend, Erniedrigung und Tod gebracht und nennen es ,,dem mittleren Osten Freiheit und Demokratie bringen".

    Wie viele Menschen muss man töten, bis man sich die Bezeichnung verdient hat, ein Massenmörder und Kriegsverbrecher zu sein? Einhunderttausend? Mehr als genug, würde ich meinen. Deshalb ist es nur gerecht, dass Bush und Blair vor den Internationalen Strafgerichtshof kommen. Aber Bush war clever. Er hat den Internationalen Strafgerichtshof gar nicht erst anerkannt. Für den Fall, dass sich ein amerikanischer Soldat oder auch ein Politiker auf der Anklagebank wieder findet, hat Bush damit gedroht, die Marines in den Einsatz zu schicken. Aber Tony Blair hat den Gerichtshof anerkannt und steht für ein Gerichtsverfahren zur Verfügung. Wir können dem Gerichtshof seine Adresse geben, falls er Interesse daran hat. Sie lautet Nummer 10, Downing Street, London.

    Der Tod spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle. Für Bush und Blair ist der Tod eine Lappalie. Mindestens 100.000 Iraker kamen durch amerikanische Bomben und Raketen um, bevor der irakische Aufstand begann. Diese Menschen sind bedeutungslos. Ihr Tod existiert nicht. Sie sind eine Leerstelle. Sie werden nicht einmal als tot gemeldet. ,,Leichen zahlen wir nicht", sagte der


amerikanische General Tommy Franks.

    Ganz zu Beginn der Invasion veröffentlichten die britischen Zeitungen auf der Titelseite ein Foto von Tony Blair, der einen kleinen irakischen Jungen auf die Wange küsst. ,,Ein dankbares Kind", lautete die Überschrift. Einige Tage später gab es auf einer Innenseite einen Bericht und ein Foto von einem anderen vierjährigen Jungen, ohne Arme. Eine Rakete hatte seine Familie in die Luft gesprengt. Er war der einzige Überlebende. ,,Wann bekomme ich meine Arme wieder?" fragte er. Der Bericht wurde nicht weiter verfolgt. Nun, diesen Jungen hielt auch nicht Tony Blair in den Armen, weder ihn noch sonst ein anderes verstümmeltes Kind oder irgendeine blutige Leiche. Blut ist schmutzig. Es verschmutzt einem Hemd und Krawatte, wenn man eine aufrichtige Ansprache im Fernsehen halt.

    Die 2000 toten Amerikaner sind peinlich. Sie werden bei Dunkelheit zu ihren Gräbern transportiert. Die Beerdigungen finden dezent statt, an einem sicheren Ort. Die Verstümmelten verfaulen in ihren Betten, manche für den Rest ihres Lebens. Die Toten und die Verstümmelten verfaulen beide, nur in unterschiedlichen Gräbern.

    Dies ist ein Stück aus einem Gedicht von Pablo Neruda: ,,Erklärung einiger Dinge":
Und eines Morgens brachen die Flammen aus allem,
und eines Morgens stiegen lodernde Feuer
aus der Erde,
verschlangen Leben,
und seither Feuer,
Pulver seither,
und seither Blut.
Banditen mit Flugzeugen und Marokkanern,
Banditen mit Ringen und Herzoginnen,
Banditen mit segnenden schwarzen Mönchen
kamen vom Himmel, um Kinder zu toten,
und durch die Strassen das Blut der Kinder
floss einfach, wie das Blut von Kindern.

Schakale, widerwärtig für einen Schakal,
Steine, auf die die trockene Distel gespieen hatte,
Vipern, die Vipern verachten würden!

Vor euch habe ich das Blut
Spaniens aufwallen gesehn,
euch zu ersaufen in einer einzigen Woge
von Stolz und Messern!

Generale
Verräter:
seht mein totes Haus,
seht mein zerbrochenes Spanien:
doch aus jedem Haus schiesst brennendes Metall
anstelle von Blumen,
aus jedem Loch in Spanien
springt Spanien empor,
aus jedem ermordeten Kind wachst ein Gewehr mit Augen,
aus jedem Verbrechen werden Kugeln geboren,
die eines Tages den Sitz
eines Herzens finden werden.

Ihr fragt, warum seine Dichtung uns nichts
von der Erde erzahlt, von den Blattern,
den großen Vulkanen seines Heimatlandes?

Kommt, seht das Blut in den Strassen,
kommt, seht
das Blut in den Straßen,
kommt, seht doch das Blut
in den Strassen!   (2)
  

   Ich möchte ganz unmissverständlich sagen, dass ich, indem ich aus Nerudas Gedicht zitiere, keinesfalls das republikanische Spanien mit dem Irak Saddam Husseins vergleiche. Ich zitiere Neruda, weil ich nirgendwo sonst in der zeitgenossischen Lyrik eine so eindringliche, wahre Beschreibung der Bombardierung von Zivilisten gelesen habe.

    Ich sagte vorhin, die Vereinigten Staaten würden ihre Karten jetzt völlig ungeniert auf den Tisch legen. Dem ist genau so. Ihre offiziell verlautbarte Politik definiert sich jetzt als ,,full spectrum dominance". Der Begriff stammt nicht von mir sondern von ihnen. ,,Full spectrum dominance" bedeutet die Kontrolle über Land, Meer, Luft und Weltraum, sowie aller zugehörigen Ressourcen.

   Die Vereinigten Staaten besitzen, über die ganze Welt verteilt, 702 militärische Anlagen in 132 Ländern, mit der rühmlichen Ausnahme Schwedens natürlich. Wir wissen nicht ganz genau, wie sie da hingekommen sind, aber sie sind jedenfalls da.

    Die Vereinigten Staaten verfügen über 8000 aktive und operative Atomsprengkopfe. Zweitausend davon sind sofort


gefechtsbereit und können binnen 15 Minuten abgefeuert werden. Es werden jetzt neue Nuklearwaffensysteme entwickelt, bekannt als Bunker-Busters. Die stets kooperativen Briten planen, ihre eigene Atomrakete Trident zu ersetzen. Wen, frage ich mich, haben sie im Visier? Osama Bin Laden? Sie? Mich? Joe Dokes? China? Paris? Wer weiß das schon? Eines wissen wir allerdings, nämlich dass dieser infantile Irrsinn - der Besitz und angedrohte Einsatz von Nuklearwaffen - den Kern der gegenwärtigen politischen Philosophie Amerikas bildet. Wir müssen uns in Erinnerung rufen, dass sich die Vereinigten Staaten dauerhaft im Kriegszustand befinden und mit nichts zu erkennen geben, dass sie diese Haltung aufgeben.

    Abertausende wenn nicht gar Millionen Menschen in den USA sind nachweislich angewidert, beschämt und erzürnt über das Vorgehen ihrer Regierung, aber so wie die Dinge stehen, stellen sie keine einheitliche politische Macht dar - noch nicht. Doch die Besorgnis, Unsicherheit und Angst, die wir täglich in den Vereinigten Staaten wachsen sehen können, werden aller Wahrscheinlichkeit nach nicht schwinden.
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